Käptn’s Dinner mit Katz

Liebe LeserInnen,
alle Jahre wieder organisieren Rega Kerner und ihre Crew einen Autoren-Oster und einen Autoren Adventskalender mit Beiträgen verschiedener Autoren zum jeweiligen Fest beziehungsweise zur jeweiligen Jahreszeit.
Zum diesjährigen Adventskalender 2023 bin nun auch ich mit einer etwas anderen Weihnachtsgeschichte unter den inzwischen mehr als 90 AutorInnen, deren sämtliche Beiträge unter dem obigen Link jederzeit nach ihrem Erscheinen abrufbar sind.
Mein Beitrag ist dem zweiten Band der Rotbartsaga „Schiffbruch vor Sumatra“ entnommen.

Die Stimmung der Herrschaften vom Achterdeck war ausgelassen. Der Kapitän und der zukünftige Kontorleiter hatten ganz erlesene Speisen aus ihren persönlichen Vorräten für das weihnachtliche Festmahl zur Verfügung gestellt. Da waren der wunderbar würzig duftende Schinken oder der ausgereifte Käse und natürlich die obligatorische Pastete, die bei keinem gehobenen Dinner fehlen durfte. Der Steward hatte sogar die luftdicht verschlossene Kiste des Oberkaufmanns mit dem Weizenmehl geöffnet und zur Feier des Tages in der Kombüse weiße Brötchen gebacken, mit denen sich die würzige Fischsuppe hervorragend tunken ließ. Ein Huhn aus dem Käfig, der auf der Poop untergebracht war, hatte auch dran glauben müssen. Nicht nur in den Augen der anwesenden Achterdecksgäste eine außerordentlich gelungene Zusammenstellung. Heute war Weihnachten und es herrschte Flaute, eine Kombination, die es erlaubte, dem edlen Tropfen für besondere Anlässe besonders reichhaltig zuzusprechen. Niemand musste sich heute um die Sicherheit des Schiffes oder gar den richtigen Kurs Gedanken machen. Und so wuselten der Steward und ein paar Diener ständig um die Herrschaften herum, um Wein nachzuschenken oder bei Bedarf die Teller wieder zu füllen.

„Proost auf die Kompagnie“, tönte der zukünftige Kontorleiter zum wiederholten Male und leerte sein Glas, das sofort wieder nachgefüllt wurde.

„Auf die Schiffskatzen“, prostete Carl Carlszoon grinsend dem Kapitän zu, der den Gruß mit einem etwas unglücklichen Grinsen und dem Zusatz „und auf unsere Bordhunde“ erwiderte.

Es war damals sowohl zu Weihnachten als auch bei der Äquatortaufe üblich, auch den Tieren Alkohol, beispielsweise in Form von Bier, zu verabreichen. Ein Brauch, der in Segelschiffszeiten so manchem Vierbeiner zum Verhängnis geworden war. Glücklicherweise waren die beiden großen Wolfsspitze des Kontorleiters außerordentlich robust und nun lagen sie laut schnarchend unter der Fensterbank der Heckgalerie. Die clevere Beaglehündin Baronne Anne-Charlotte, die der Schiffsarzt einst auf Madagaskar aufgelesen und mit am Bord der Zeeland gebracht hatte, rührte ihren alkoholischen Feiertagstrunk ebensowenig an, wie die drei Katzen. Während die hündische Freiherrin aus Frankreich die herrschaftlichen Zechkumpane vom Boden aus anbettelte, waren Seetiger und Kleinebroer dem vierbeinigen Hausherrn Grotebroer gefolgt, als dieser ganz selbstverständlich auf den Tisch gesprungen war, um seinen Anteil am Festschmaus einzufordern. Nie würden sich die in diesen Angelegenheiten erfahrenen Schiffskatzen einfach auf die ausgebreiteten Speisen stürzen. Stattdessen setzte sich Grotebroer zuerst vor den Teller seines zweibeinigen Untermieters, Kleinebroer ernannte den Pastor zu seinem ersten Steward und Seetiger gesellte sich zunächst zu Carl Carlszoon, mit dem er seine Kajüte teilte. Und dann begann eine intensive Kommunikation zwischen den Arten. Die Katzen schauten ihrem zweibeinigen Gegenüber tief in die Augen und wiesen lässig mit einer Pfote auf die Speisen von denen sie ihre angemessenen Anteile erwarteten. Wie es sich gehörte, erfolgte in der Regel die schnelle Lieferung des gewünschten und maulgerecht zugeschnittenen Leckerbissens auf der Gabel. Von der angelten sich die geschickten Fellnasen ihren Tribut mit einer souveränen Pfotenbewegung um ihn mit anerkennendem Schmatzen zu vertilgen. Jeder Kater machte wenigstens eine Runde auf dem Tisch, damit sich niemand der zweibeinigen Herrschaften vernachlässigt fühlen musste. Wer das Prinzip von Geben und Nehmen nicht begriffen hatte oder nicht mitspielen wollte, wurde mehr oder weniger geduldig angelernt. Es war aber nicht nur der Widerstand einiger nicht besonders katzenaffiner Zweibeiner wie der des Kontorleiters oder des Pastors, die das feierliche Miteinander der zwei- und vierbeinigen Schiffseliten störten. Auch der dem Wein geschuldete bereits ein wenig getrübte Bewusstseinszustand der menschlichen Gesellschaft führte im Einzelfall zu erheblichen Missstimmigkeiten. So wollte beispielsweise der Pastor ausgerechnet dem Seetiger das gemeinsame Weihnachtsmahl verweigern, nur weil der Kater ziemlich schwarz war und wohl seine Vorstellung vom Teufel verkörperte.

„Weiche von mir“, lallte der Gottesmann angesichts des durchdringenden Blickes und schlug mit der Hand ein Kreuz, dessen unsichtbarer Querbalken das Weinglas vom Tisch wischte. So eine hektische Bewegung, die einem Angriff auf seine Integrität gleichkam, konnte Seetiger nicht tolerieren. Und während der Steward noch froh war, dass der Wein nicht das schöne weiße Tischtuch benetzt hatte, sondern nur auf den Boden geflossen war, tropfte das Blut aus tiefen Kratzern von Handrücken und Gesicht des Geistlichen auf dasselbe. Das brüllende Gelächter der Tischrunde, während der Kater würdevoll mit hocherhobenem Schwanz auf dem Tisch entlangschritt und an dessen Ende mit einem Maunz an seine Kumpels „wir sollten und jetzt wohl zurückziehen“, in perfekter Eleganz herunterglitt, machte den Schwarzrock nun erst richtig wütend. Mit einem Ruck sprang er auf, sodass der Stuhl scheppernd gegen die Kajütenwand schlug. Arg schwankend donnerte er recht unartikuliert eine ziemlich sinnfreie Predigt gegen Ketzervolk und Teufelsbrut und krachte schließlich fluchend zu Boden. Der Steward verdrehte die Augen. Das blutige Tischtuch hatte er nun wirklich nicht verdient. Es würde Stunden, vielleicht Tage dauern, die Flecken wieder herauszukriegen und das Tuch zu bleichen, wenn  es überhaupt gelang. Und diesmal gab er nicht dem Schiffskater sondern dem umnebelten Gehirn des noch unbeliebteren Popen die Schuld. Wie zufällig machte er also angesichts des umstürzenden Gottesmannes einen Schritt zur Seite, statt diesen aufzufangen und zu stützen, wie es eigentlich seine Pflicht war.

„Oh, ich hoffe, Sie haben sich nicht verletzt“, sagte der Steward mit besorgtem Tonfall, „ich denke, der Doktor und ich sollten Sie vielleicht ins Lazarett bringen.“