Leseproben zu Rotbarts wilde Verwandte

Kurzbeschreibung: Marmorkatze, Sumatratiger, Leopard, Nebelparder oder Schwarzfußkatze. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind vom Aussterben zumindest in freier Wildbahn bedroht. Bereits seit der Entstehung der ersten Zivilisationen werden sie verehrt und verfolgt, ausgerottet und vergöttert. Aber erst mit der europäischen Expansion, der Globalisierung wird mit zunehmender Geschwindigkeit ihre natürliche Lebensgrundlage überall auf der Welt unwiederbringlich zerstört.
„Rotbarts wilde Verwandte“ ist eine kulturgeschichtliche Reise von der Frühzeit über das 17. Jahrhundert, in dem der Prozess der Globalisierung bereits im vollen Gange war, in die Neuzeit bis hin zu den aktuellen Herausforderungen, denen sich der Arten- und Habitatschutz angesichts der sogenannten sixth extinction, also dem sechsten Massenartensterben der Erdgeschichte zu stellen hat. Der Leser taucht dabei ein in die Welt von göttlichen Herrschern, Kulturheroen, menschenfressenden Raubkatzen, skrupellosen Geschäftemachern, historischen Ausrottungskampagnen und schießwütigen Naturforschern. Denn die Kulturgeschichte des anthropogenen Artensterbens ist geprägt von Gier und Machtbesessenheit, wissenschaftlicher Leidenschaft, religiösen Überzeugungen und einer gehörigen Portion Dummheit der Tierart, die sich in ihrer Hybris selbst als Homo sapiens, also als weise und vernünftig bezeichnet.

Probe 1 aus Mit dem Tod im Gepäck

Rotbart reiste um die Welt, als sie sich im Umbruch befand. Seit gut einhundert Jahren hatten sich die Europäer auf verschiedenen Wegen in Ostindien niedergelassen und damit einen Prozess in Gang gesetzt, den wir heute als Globalisierung bezeichnen. Dieser Prozess zeichnete sich und zeichnet sich noch heute weitgehend durch hemmungsloses Ausbeuten der natürlichen Ressourcen aus.
Um nicht missverstanden zu werden: Südafrika, Indien, Indonesien oder Südostasien waren keine jungfräulichen Naturparadiese, in denen die Menschen vor der Ankunft der Europäer im Einklang und als Teil der Natur lebten. Die sprichwörtlichen Reichtümer der ostindischen und südostasiatischen Zivilisationen waren es schließlich, die bei den europäischen Mächten Begehrlichkeiten weckten und sie zu maritimen Höchstleistungen veranlassten, um das seit Jahrhunderten bestehende arabische Monopol im ostasiatisch-europäischen Fernhandel zu brechen. Reisanbau für eine ständig zunehmende Bevölkerung, die Produktion von Handelsgütern wie Gewürze, Elfenbein, Gold oder Textilien oder die Einführung von nicht heimischen Tierarten waren schon vor der Ankunft der Europäer mit der Vernichtung natürlichen Lebensraums zahlreicher einheimischer Arten verbunden. Zweifellos hatten die in Zusammenhang mit der europäischen Expansion ständig wachsende globale Nachfrage und die Aussicht auf exorbitante Profite diesen Prozess nicht nur beschleunigt, sondern auch in die entlegensten Winkel der Erde getragen.
Aber das Ausrotten von Tierarten reicht viel weiter zurück als die Eroberung der Welt durch die Europäer. Bereits in der Frühgeschichte und erst recht in der Antike galt der Krieg gegen die Natur und ihre wilden Bewohner geradezu als zivilisatorische Großtat. Im Namen allmächtiger Götter machten sich die Herrscher die Natur und ihre Geschöpfe (übrigens auch die Menschen selbst) Untertan. Als Kulturheroen schafften sie bereits in mythologischer Zeit Ordnung aus der chaotischen Natur. Was sich nicht unterordnete oder was schlichtweg im Weg war, wurde im Namen der Zivilisation vernichtet, zerstört, verwertet, umgeformt. Religionen und Ideologien haben dafür gesorgt, dass sich bis heute in den Köpfen der Menschen die Vorstellung vom Gegensatz zwischen wilder, ungeordneter Natur und menschlicher Herrschaftskultur als Obwalter göttlicher Ordnung festgesetzt hat.
Es scheint auf den ersten Blick paradox, dass ausgerechnet den Spitzenprädatoren wie Tiger und Löwe in den Mythen verschiedener Kulturen eine große Verehrung zuteil wurde, obwohl sie gleichzeitig den Gemetzeln der frühgeschichtlichen und antiken Herrscher zum Opfer fielen. Und während sich Südkorea, der Gastgeber der olympischen Winterspiele 2018, seiner engen kulturellen Verbundenheit mit dem Tiger rühmt und werbewirksam weiße und rote Tigermaskottchen verteilt, findet sich dort kein einziges (freilebendes) Exemplar des einst heimischen Panthera tigris altaica (Sibirischer Tiger) mehr. Die größte lebende Katze der Welt ist auf der Roten Liste gefährdeter Arten als „stark gefährdet“ verzeichnet, das sind lediglich zwei Stufen vor der Kategorie „Ausgestorben“.
Heute kehren die hierzulande im 19. Jahrhundert ausgerotteten großen Beutegreifer nach Deutschland zurück. Sie sind noch kaum richtig angekommen, da macht sich schon wieder das Bild von der unberechenbaren wilden Bestie breit. Wolf und Luchs bilden = wie es uns die Herrschaftsmythen über Jahrtausende eingetrichtert haben ­= eine Gefahr für Leib und Leben und sie verursachen im Verständnis der wenigen Betroffenen untragbare wirtschaftliche Schäden. Konsequenz: der Mensch muss regulierend eingreifen, die Bestie muss der Ordnung und Sicherheit, vor allem aber wirtschaftlichen Interessen bestimmter Gruppen weichen. Wie schon vor Jahrtausenden fühlen sich die Jäger berufen, das „Problem“ buchstäblich aus der Welt zu schaffen.
Auch die Geschichte der Erforschung der Tierwelt ist stark vom Bedürfnis geprägt, die unzähligen Erscheinungs- und Entwicklungsformen des tierischen Lebens in eine Ordnung zu bringen, zu systematisieren. In diesem Zusammenhang entstand die Erkenntnis der Evolution, die uns heute geläufige Klassifizierung und der Begriff der Arten, der übrigens viel komplexer ist, als viele Leser annehmen dürften.
Allein die wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Fauna dieser Welt im 18 und 19. Jahrhundert kostete unzählige Individuen bereits damals vom Aussterben bedrohter Arten das Leben. Als wissenschaftliche Präparate oder unterhaltsame lebende Ausstellungsstücke landeten sie in den Sammlungen ehrwürdiger Universitäten und Museen, in Tiergärten oder Zirkussen. Artenschutz war nicht einmal ansatzweise auf dem Schirm der frühneuzeitlichen Wissenschaftler. Und so ist es kein Wunder, dass die gesellschaftliche Diskussion um Sinn, Zweck und Umsetzung von Artenschutz trotz zahlreicher Projekte und wissenschaftlicher Erkenntnisse eigentlich erst noch geführt werden muss. Denn das Grundverständnis von der Bedeutung funktionierender Ökosysteme ist im weltweiten Maßstab nach wie vor europäisch-funktional geprägt, also hinsichtlich eines gesellschaftlichen Wertesystems eng in eher kurzfristige ökonomischen Kosten-Nutzen Erwägungen eingebunden.

Probe 2 aus Kriegszüge gegen die Natur

Den Leser wird es nicht überraschen, dass die verkarstete und erodierte Landschaft Attikas, und der ägäischen Inseln nicht Ergebnis natürlicher Landschaftsentwicklung, sondern menschlicher Eingriffe in antiker und vorantiker Zeit ist. So beklagte Platon bereits Mitte des 4. Jahrhunderts vor Christus ökologische Sünden seiner Zeitgenossen. Der römische Dichter Lukrez beschreibt 55 vor Chr. in seiner Kulturentstehungslehre die Folge der wachsenden Bevölkerung und des damit zunehmenden Bedarfs an Ackerfläche und Weideland folgendermaßen: „Von Tag zu Tag zwang man die Wälder mehr, sich in die Berge zurückzuziehen und unten am Fuße für bebautes Land Platz zu lassen.“
Für die Menschen im Altertum bedeutete die Waldrodung ein Fortschritt, ja sogar einen Sieg gegen die Natur. Eratosthenes aus dem 3. Jahrhundert vor Christus, griechischer Wissenschaftler und Leiter der legendären Bibliothek von Alexandria, stellte beispielsweise fest, dass die Ebenen der Insel Zypern einst von dichtem Wald bewachsen waren. „Abhilfe geschaffen dagegen“, so die Formulierung des griechischen Gelehrten, hatten erst die Bergbauaktivitäten und dann die Rodungen zur Gewinnung von Schiffbauholz. Jeder, der ein Stück Land rodete, so beschrieb Eratosthenes, erwarb daran das Eigentumsrecht, ein Mittel, „um der nachwachsenden Bäume Herr zu werden.“
Der Anstieg der Bevölkerungszahlen führte aber nicht nur zu ständig zunehmendem Bedarf an Ackerbaufläche, sondern auch zu einem steigenden Holzbedarf. Brennholz und Bauholz holte man, allein wegen der Transportprobleme, zunächst aus den der Siedlung oder Stadt nächstgelegenen Wäldern. Man vermutet, dass beispielsweise die beiden stadtnahen Erhebungen Athens bereits im 7. und 6. vorchristlichen Jahrhundert weitestgehend abgeholzt waren. Ansonsten dürften die Erhebungen Attikas noch im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung von beachtlichen Wäldern bedeckt gewesen sein. Das gewaltige Flottenbauprogramm des Themistokles in den achtziger Jahren des 5. vorchristlichen Jahrhunderts bedeutete aber für den Holzbedarf in Griechenland eine neue Dimension. Mehr als 200 Kriegsschiffe wurden innerhalb weniger Jahre gebaut. Vor allem aber mussten die Schiffe aufgrund ihrer geringen Lebensdauer etwa alle 20 Jahre ersetzt werden. Riesige Flotten wurden während der Materialschlachten im Peloponnesischen Krieg (431­=404 vor Christus) aus dem Boden gestampft. Athens Wälder reichten hierfür bei weitem nicht aus. Das Schiffbauholz wurde schließlich aus dem Norden Griechenlands, aus Thessalien und Makedonien importiert.
Athen und die Griechen waren nicht die einzigen Kulturen mit hohem Holzbedarf. Assyrer und Perser machten sich über die Wälder des Libanon her, die Römer plünderten die küstennahen Baumbestände ihres ständig wachsenden Einflussbereiches. Keine der antiken Kulturen verschwendete einen Gedanken daran, mit der immer wichtiger werdenden Ressource Wald sorgsam umzugehen. Radikale Ausbeutung ohne Wiederaufforstung, ohne Nachhaltigkeit in der Bewirtschaftung war das Prinzip, dem auch zahlreiche Wälder Italiens und damit auch deren wilde Bewohner zum Opfer fielen. Als sich Rom im Rahmen des ersten punischen Krieges als Seemacht etablierte, begann es mit einer Flotte von einhundert Schiffen die in rund 60 Tagen gebaut worden sein soll. Hunderte weiterer Einheiten folgten. Rund 700 Penteren (Fünfruderer) sollen durch Sturm, Schiffbruch und Kämpfe allein in den punischen Kriegen verloren gegangen seien.
Der Holzverbrauch Roms war natürlich nicht nur durch die Flotte bedingt. Für die steigende Bevölkerungszahl in Italien benötigte man immer mehr Ackerland, für die aufwändigen öffentlichen Bauten der Kaiserzeit Bauholz und für die zahllosen Thermen das nötige Brennholz. Allein in Rom gab es im 4. Jahrhundert elf große Badepaläste und 856 kleinere Bäder, die mit Holz und Holzkohle betrieben wurden. Das Brennholz wurde in dieser Zeit in Italien wohl so knapp, dass man begann, es aus Afrika zu importieren. . . .

Probe 3 aus Der Karakal

. . . Als der junge Schiffskater Rotbart 1654 am Kap der Guten Hoffnung erstmals auf seinen Reisen wilden Verwandten begegnete, war die Welt des Caracal caracal zumindest in diesem Teil der Erde noch halbwegs in Ordnung. Die Holländer hatten erst zwei Jahre zuvor ihren Handelsstützpunkt am Tafelberg errichtet und bis auf die Festung und ein paar Gärten noch kaum Land für sich in Anspruch nehmen können. Das war von den nomadischen Khoi und den Jägern und Sammlern, den San, besiedelt, für die die Koexistenz mit Beutegreifern zum alltäglichen Leben gehörte.
Ins Blickfeld der Europäer gelangte der Karakal im folgenden Jahrhundert. Wie überall, wo Menschen in ihren Lebensraum eindrangen, bediente sich die außerordentlich scheue, opportunistische Raubkatze nach dem Muster, man nimmt, was man kriegt, gelegentlich auch bei den Haustieren, wie Hühnern, Schafen oder Ziegen. Da kam es ganz gelegen, dass man das Fell des Karakal, wie Alfred Brehm in seinen Tierleben zu berichten wusste, „Am Vorgebirge der guten Hoffnung … in hohem Werte“ hielt „… weil man ihm Heilkräfte gegen Gliederschmerzen und Fußgicht zuschrieb. Solche Felle wurden auch nach Europa verhandelt und hier ebenfalls gut bezahlt.“
Zu Lebzeiten Brehms (1829–1884) War der Boom der Karakalfelle allerdings längst vorbei, die faszinierende Raubkatze aus dem Blickfeld des kommerziellen und naturwissenschaftlichen Interesses entschwunden. Im Pelzhandel des 20. Jahrhunderts war der Karakal noch sehr günstig als Bettvorleger zu erstehen und wer sich heute einen Karakal als Trophäe schießen will, bekommt den bei den einschlägigen Veranstaltern im südlichen und westlichen Afrika schon für eine Abschussprämie von 500 – 700 € vor die Flinte. Da die Katze im Anhang II des Washingtoner Artenschutzabkommen CITES aufgelistet ist, können die mutigen Jagdgesellen ihre Trophäe auch problemlos nach Deutschland einführen. Laut CITES Trade Databasis wurden von 2001-2017 7.924 Jagdtrophäen davon 6.749 aus Südafrika und 1.039 aus Namibia, 1.413 Felle und 1.633 Schädel. zur Ausfuhr genehmigt. Hinzu kamen 157 lebende Wildfänge, davon 26 aus Namibia, 74 aus Südafrika und 12 aus Guinea. Weltweit wurde der internationale Transport von 583 Nachzuchttieren erfasst, davon 560 aus Südafrika.
Weil sie als Nutztierräuber gelten, werden die Karakals natürlich auch in ihrem Bestand „kontrolliert“, also abgeschossen. Allein im Zeitraum zwischen 1931 bis 1952 wurden laut International Union for Conservation of Nature (IUCN) allein in der südafrikanischen Trockenregion Karoo pro Jahr mehr als 2.200 dieser Katzen im Rahmen der „Populationskontrolle“ getötet. 1981 meldeten namibische Farmer den Abschuss von 2.800 Karakals, weil die angeblich einen relativ hohen Verlust von Nutztieren verursacht haben. Die Dunkelziffer dürfte durch­aus höher sein. Laut roter Liste gefährdeter Arten (IUCN) ist der Caracal caracal in Südafrika dennoch nicht vom Aussterben bedroht. Allerdings ist über die Habitatansprüche und Reviergrößen der sprunggewaltigen Katze bislang nur wenig bekannt.
Dabei verbindet den Menschen und den Karakal eine sehr lange gemeinsame Geschichte. Denn das Verbreitungsgebiet der großen wilden Kleinkatze reicht von der Kapregion Afrikas über Vorderasien bis nach Indien. Bereits die alten Ägypter sollen sich nach Mutmaßung des Altphilologen Otto Keller in seinem Buch Die antike Tierwelt (1909) des Karakals zum Jagen bedient haben. Das jedenfalls glaubt er unter anderem aus der ägyptischen Bilderwelt ableiten zu können. Unwahrscheinlich ist das sicherlich nicht, denn die frühgeschichtlichen Herrscher Nordafrikas und Vorderasiens hielten sich eine ganze Reihe von Raubkatzenarten für die Jagd, allen voran den Gepard. Auch in frühneuzeitlichen Berichten taucht der Karakal als Jagdbegleiter immer wieder auf. So schreibt Gessner dass der König der Tartaren heimische Löwparden und Luchse (in diesem Fall sind tatsächlich Karakale gemeint) besitzen solle, die er zum Jagen gebrauche. Brehm meinte dazu, dass Gessner das wohl von Marco Polo abgeschrieben habe, dass es aber trotzdem durchaus glaubwürdig sei. Tatsächlich finden sich bei verschiedenen europäischen Reisenden aus dem 19. Jahrhundert Berichte über die Jagd mit Karakalen. So schreibt zum Beispiel Godfrey Thomas Vigne (1801-1863) in einem seiner Tagebücher, dass in Kaschmir Karakale gemeinsam mit Geparden zur Jagd eingesetzt wurden. . . .

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