Fragen, die sich so nicht stellen
Literatur ist Politik, also ein gesellschaftliches Phänomen, das nicht nur einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen, sondern in der Wahrnehmung vor allem ganz unterschiedlichen Interessen unterworfen ist. Verlage sind ebenso Teil dieses Literaturbetriebes wie die Leser, der Buchhandel, der Gesetzgeber, Wirtschaftsverbände, Buchhandel und hoffentlich nicht zuletzt die Autoren, Lektoren, Übersetzer oder Illustratoren.
Man könnte ganze Bücher füllen mit den Veränderungsprozessen im Literaturbetrieb, die seit der Erfindung der Schrift stattgefunden haben und dabei für jeden einzelnen der oben genannten Bestandteile des literarischen Gesamtkomplexes eine Entwicklungslinie zeichnen, die lediglich das belegt, was eigentlich selbstverständlich ist:
– alles hängt miteinander zusammen
– verändert sich ein Element, verändern sich alle Elemente
– für strukturelle Veränderungen sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wichtiger als Technologien
Für eine Antwort auf die angesichts der aktuellen Prozesse und Diskussionen heute meistgestellte Frage nach der Zukunft von . . . . hilft vielleicht ein kleiner Perspektivwechsel.
Legenden der Geschichte
Greifen wir als Beispiel den Buchdruck heraus, der den Verfechtern der elektronischen Buchzukunft als Paradebeispiel für eine literarische Revolution gilt, die nun mit der Technologie des electronic publishing wiederum anzustehen scheint. Aber ebenso wenig wie es Luther war, der mit – je nach Sichtweise – seinen Wittenberg-Thesen oder seiner Bibelübersetzung für die Reformation verantwortlich zeichnete, war es Gutenberg, der mit seiner Druckerpresse den „Buchmarkt“ revolutionierte. Beide hatten nicht einmal die Voraussetzungen für diese „Revolutionen“ geschaffen. Sie hatten – übrigens zeitglich mit vielen anderen, oft kaum beachteten Zeitgenossen – lediglich die Instrumente zur Verfügung gestellt, die den Anforderungen des längst stattgefundenen gesellschaftlichen Strukturwandels angemessen waren.
Natürlich soll das hier kein neues Buch aus meiner selfpublished Kindle-E-Book-Reihe „Kulturgeschichtliche Aspekte zu . . .“ werden. Aber das, was sich als Konzept hinter dieser Reihe verbirgt, gilt auch für die Zukunftsfragen, die sich jeder einzelne Beteiligte aus seinem Blickwinkel heraus stellt: der eine, eigene, meist einzige Blickwinkel ist für eine zukunftsorientierte Positionierung im Gesamtprozess nicht unbedingt förderlich.
Überlebenskampf der Dinosaurier
Während sich schon längst reine epub-Verlage entwickelt haben, versuchen nun auch die großen Print-Verlage in das E-Geschäft einzusteigen. Viele Experimente finden hier derzeit statt, die jedoch im Massen- bzw. Mainstreambereich nichts anderes bedeuten, als den Versuch der großen Marktteilnehmer, sich gegenseitig traditionelle Marktanteile nun auch im virtuellen Bereich streitig zu machen. Bei der vor allem ökonomischen Betrachtungsweise von Literatur als Wirtschaftsgut, als austauschbare Handelsware, ist es kein Wunder, dass nun auch die großen Buchhandelsketten und Online-Shops elektronische Morgenluft wittern und sich hier – längst überfällig – die Kräfteverhältnisse zwischen Verlagen und Handel aber auch innerhalb des Handels gehörig verschieben. Das alles sind aber lediglich Kämpfe um Marktanteile, die sich innerhalb der traditionellen, aus industriellen Strukturen heraus entstandenen Literaturunternehmen abspielen, und in erster Linie zum Ziel haben, die in vielerlei Hinsicht nicht mehr zeitgemäßen Strukturen zu konservieren. Dazu gehört auch die aktuelle Tendenz verschiedener Marktteilnehmer, über jeweils eigene Reader und Dateiformate die Konkurrenz auszuschließen.
Dass dabei letztendlich auch Leser ausgeschlossen werden, spielt für die Großen zunächst keine Rolle, schließlich geht es um Verdrängung, Konzentration, Monopolisierung von Vertriebskanälen und nicht um Literatur.
Die große Zeit der Kleinen
Nun gut, meine Einschätzung ist sicherlich subjektiv, aber für mich sind diese Aktivitäten die letzten Zuckungen eines verkrusteten industriellen Buchmarktes und haben mit Zukunft nur wenig zu tun. Während sich die Einen um die immer kleiner werdende Gruppe eines irgendwie definierten Mainstream-Massen-Konsumenten prügeln, sehe ich bei den kleinen, ambitionierten Verlagen recht große Zukunftsperspektiven. Klar, ich habe inzwischen mehr electronic-selfpublished, als verlagspubliziert, aber ich sehe gleichzeitig eine sehr große Zukunft in der Zusammenarbeit beispielsweise mit dem Berliner Vergangenheitsverlag, bei dem bereits mein „Andre Zeiten, andre Drachen“ erschienen ist, mitte November meine „Vampire, Wiedergänger und Untote“ herauskommen werden und für das nächste Jahr ein weiteres Projekt vereinbart ist (weitere Ideen habe ich schon auf Lager). Dieser Verlag, der natürlich auch aus Gründen der Eigenwerbung hier genannt ist, verkörpert für mich tatsächlich ein Zukunftskonzept. Er nutzt nicht nur ganz selbstverständlich die neuen Technologien und entwickelt auch inhaltlich neue Formate, die der tatsächlichen Differenzierung unserer Gesellschaft und damit auch der in viele Zielgruppen aufgesplitterte Leserschaft gerecht werden, er gibt mir auch die professionelle Sicherheit und die Rückenfreiheit, die ich als Autor benötige, um vernünftige Inhalte zu produzieren (für mich ist allein das Recherchieren und Schreiben ein Vollzeitjob). Denn ohne professionellen „Verlagspartner“ kann ich derzeit guten Gewissens nur Texte selfpublishen, mit denen ich mich – in meinem Fall in Form von Online-Artikeln – bereits an anderer Stelle als qualifiziert profiliert habe und die keiner Betreuung durch Lektorat etc. mehr bedürfen.
Neues Selbstverständnis der Autoren
Für größere, neue Projekte bedarf es nach wie vor professioneller Unterstützung in Form von Lektorat, Marketing, Satz und Layout (gilt ja auch fürs elektronische) etc., die ich mir als Autor entweder als Kooperationsnetz zusammenkaufen, oder eben über die Zusammenarbeit mit einem innovativen und ambitionierten Verlag beschaffen kann. Mit diesem Verlag lassen sich dann auch neue Formate diskutieren, entwickeln und umsetzen, für die gerade der E-Book-Bereich gewaltige Potenziale beinhaltet. Für mich ist es keine Frage: Verlage haben eine Zukunft . . . Massenbuchproduzenten, ob elektronisch oder Papier, langfristig eher nicht. Aber eines ist auch klar: eines Verlages, der nur publiziert, die ISBN beschafft und die inzwischen automatisierten Vertriebswege bedient, Lektorat und Marketing aber allein dem Autor überlässt, bedarf es in der Zeit der diversen Selfpublishing-Möglichkeiten sowohl im Print als auch im E-Bereich nicht wirklich. Die Autorenschaft, die ihr Handwerk halbwegs beherrscht – dies die eigentlich interessante Botschaft – hat vor dem Hintergrund der aktuellen Prozesse die einmalige Chance, sich als eine strukturell mitgestaltende Gruppe des Literaturbetriebes zu etablieren. Auch bei den Autoren müssen in diesem Zusammenhang im Selbstverständnis allerdings ein paar Veränderungen stattfinden. Ein Autor jedenfalls, der heutzutage verzweifelt nach einem Verlag sucht, der ihn publiziert, ist wohl noch nicht ganz in der heutigen Zeit angekommen.
Es werden sich Verlage eines neuen Typs entwickeln, die den Autor stärker mit einbeziehen und sich den Entwicklungen des Marktes positiv öffnen. Der Verleger als Torhüter des Buchmarkts, der über das Wohl und Wehe von Autoren entscheidet, ist jedenfalls endgültig in die Rumpelkammer der Geschichte verbannt. Dass es dort noch kräftig rumort, hat damit zu tun, dass Pfründe und Besitzstände gewahrt bleiben sollen. Ein ständischer Börsenverein, der sich zeitlebens an den Auffassungen weniger großer Mitglieder ausrichtete und die kleinen Verlage maßregelte, wird dabei ebenfalls ein neues Selbstverständnis entwickeln müssen, will er nicht beim nächsten Spülgang in der Kloschüssel der Geschichte verschwinden.
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