Autorenkosmos 1

Die Literatur-Guerilla – eine Frage der Kultur (oder Kultur unter Strom)

Gedanken zum moralisch korrekten Autorenmarketing

Eigentlich ließen sich die ganzen merkwürdigen Auseinandersetzungen, die derzeit die unterste Schublade des Buchmarktes erschüttern einfach als skurriles Randgruppenproblem abtun. Aber ganz offensichtlich werden die Randgruppen vor allem im Bereich des independent publishing (also der verlagsunabhängigen Buchautoren, der sogenannten Indies) gegenwärtig immer aggressiver.  Und obwohl man doch annehmen sollte, dass Menschen, die sich mit Literatur befassen, auch in der Auseinandersetzung ein gewisses Niveau entwickeln, findet im Rahmen von Facebook-Scharmützeln, Amazon-Rezensionsschlachten oder donnernder Indie-Kollegenschelte auf Autoren-Literatur-Blogs derzeit eine Schlammschlacht statt, die das RTL-Frauentauschniveau noch um Größenordnungen zu unterbieten in der Lage ist. Normal ist das nicht (und es schleicht sich das Gefühl ein, dass das auch für den einen oder anderen Beteiligten gilt). Tatsächlich stellt sich die Frage, was eigentlich hinter dieser geradezu hemmungslosen verbalen Messerstecherei zwischen Fake-Account-Maskierten Literaturgangs steckt.

Natürlich, E-Books und Amazon haben den Buchmarkt letztendlich für Jedermann geöffnet. Wer immer möchte kann heute völlig kostenlos seine eigenen literarischen Werke publizieren und auch ohne Verlag mit seinen genialen Formulierungen, Gedanken, einzigartig entwickelten Geschichten oder Themen, auf die noch kein Mensch zuvor gekommen ist (wie Vampire, Sex, Ratgeber, Homoerotik und anderes mehr) ein Millionenpublikum beglücken. Dafür darf er dann aber auch sein eigenes Marketing übernehmen und muss damit gegen die Macht der traditionellen Verlage und tausender vermeintlich konkurrierender Indie-Kollegen anstinken. Wer sich nun als Newcomer in das Haifischbecken des independent publishing begibt, merkt schnell, dass das mit dem Marketing eine hochkomplizierte Geschichte ist und dass der eine oder andere Kollege die Klaviatur der Selbstvermarktung besser bedienen kann, die Mechanismen des Buchmarktes besser kennt, als er selbst. Da häufen sich – um nur ein Beispiel zu nennen – bei dem einen positive Rezensionen auf Amazon – außerordentlich verdächtig, wenn das eigene, so geniale Buch nicht so recht bei der Leserschaft ankommen will. Keine Frage, das kann nur bedeuten, dass sich die Konkurrenz unlauterer Mittel bedient.

Verschwörungstheorien versus Marktrealitäten

Es wäre einfach zu viel und zu ermüdend, die einzelnen Vorwürfe, Unterstellungen und Verschwörungskonstrukte, pauschal formulierten Qualitätsmängel (nach dem Muster: wer gut ist muss ja nicht ohne Verlag publizieren) mit denen vor allem verlagsunabhängige Autoren qualifiziert werden, an dieser Stelle aufzuführen. Es macht auch keinen Sinn, durchaus vorhandene Qualitätsmängel bei Independent-Autoren zu rechtfertigen oder zu geißeln, zumal – dies wird im Rahmen der Diskussionen ebenfalls immer wieder deutlich – die Qualitätsanforderungen und die Fehlertoleranzen bei den Lesern (gelegentlich spielen die bei Literatur ja auch noch eine Rolle) durchaus unterschiedlich sind und in jüngerer Vergangenheit vor allem die etablierten Verlage hinsichtlich traditioneller literarischer Qualitätsmaßstäbe reihenweise Schranken niedergerissen haben (noch vor dem Indie-Boom!). Sei es beim Einsatz des Lektorats und Korrektorats, sei es bei der Qualität von Übersetzungen, oder generell bei der Wahl der Autoren, literarische Qualitätsstandards sind inzwischen auch bei der Literatur bekanntlich weitgehend dem Primat des Marktes zum Opfer gefallen.

Krieg der Sterne – im Kampf gegen dunkle Kräfte

Ob und wieweit diese Entwicklung nun gut oder schlecht ist, habe ich hier nicht zu bewerten. Lächerlich ist es aber, die traditionellen Qualitäts- und Moralmaßstäbe nun mit den Indies ausgerechnet auf einen Marktteilnehmer zu übertragen, der (kollektiv gesehen) tatsächlich dabei ist, im Rahmen von Versuch und Irrtum und persönlichem Risiko neue Publikationsstrukturen und Qualitätsvorstellungen für zum Teil neue Medien zu entwickeln, die zudem einer ständigen Veränderung unterworfen sind, gleichzeitig aber auch ständig neue Möglichkeiten und Herausforderungen bieten. So manche Kritik resultiert gerade aus der Unkenntnis dieser Tatsachen. Hinzu kommt, dass sich die traditionellen Marktteilnehmer teilweise recht subtiler und marktmächtiger (gelegentlich auch unlauterer) Instrumente bedienen, um den Indiemarkt unter ihre Kontrolle zu bekommen oder als Konkurrenten ins Abseits zu drängen.

Kämpfer für das gute Image

Keine Frage, schlechte Bücher (in welcher Hinsicht auch immer) haben ein schlechtes Image zur Folge – die Frage ist nur, für wen. Viele Autoren, die andere Indies kritisieren (oft genug, ohne ihre eigene Identität und damit Interessenlage Preis zu geben), machen das nach eigener Aussage, weil ein schlechter Indie-Autor angeblich auf alle Indie-Autoren ein negatives Licht wirft. Abgesehen davon, dass es gerade als Autor recht vermessen ist, sich gegenüber seinen Kollegen als anonymer Qualitätswächter aufzuspielen, sollten diese freiwilligen Qualitätspolizeireservisten vielleicht einmal einen Blick auf die Realität werfen:

Auch einzelne Bücher etablierter Verlage sind hinsichtlich literarischer und grammatikalischer Maßstäbe grottenschlecht. Für das Image des jeweiligen Verlages und seiner anderen Autoren hat dies keine bekannten negativen Folgen, eher für den jeweiligen Autor. Wer die Verantwortung für seinen Misserfolg ständig bei den anderen, den Umständen oder irgendwelcher unfairer Verhaltensweisen seiner „Konkurrenz“ ausmacht, wird ihn auf Dauer konservieren. Nicht etwa, weil ihn irgendwann niemand mehr leiden kann (keine Sorge, jeder Querulant findet seine Gefolgschaft und die kann sogar gelegentlich beängstigende Ausmaße annehmen), sondern vielmehr weil er sich der Möglichkeit begibt, etwas an seinem persönlichen Problem zu ändern. Vergleichen wir die „mafiösen Machenschaften“ einiger Indie-Autoren einmal mit dem Marketing traditioneller Verlage.

Manipulation als stinknormales Marketing

– Versenden kostenloser Rezensionsexemplare und/oder Waschzettel (fertig formulierte Pressetexte) an ausgewählte Medien, um dort möglichst viele Buchvorstellungen, -besprechungen etc. zu platzieren.

– Versenden kostenloser Rezensionsexemplare an möglichst viele Literaturblogger, um dort nicht nur als Buchvorstellung, sondern auch als Dankeschön an den Verlag und mit dem Buchcover präsent zu sein.

– Betreiben verlagseigener, auf des ersten Blick neutraler Literaturblogs mit der Veranstaltung von Leserunden, Wettbewerben und allen möglichen Aktionen zur Käufergewinnung, Aufbau von Facebook-Freundeskreisen und Twitter-Followermassen.

– Aufbau einer positiv gestimmten Fan- und Lesergemeinde, Kontakte, Lesungen mit speziellen Autoren, Einladungen zur Buchmesse etc. Daraus resultieren positive Bewertungen des Verlags und seiner Bücher, unabhängig davon, ob diese bereits gelesen wurden oder tatsächlich gut sind.

– gekaufte Rezensionen, Gefälligkeitsbewertungen auf Literaturblogs, ja, die gibt es bei einzelnen Verlagen, Indieautoren und jedem anderen Marktsegment auch. Es gibt sogar „Autorenkollegen“, die sich auf solche Leistungen als Service gegen Honorar spezialisiert haben und damit öffentlich in sozialen Netzwerken werben. Auch das ein Geschäftszweig des Marketing – mag sich dort bedienen, wer will.

Wahrnehmungsprobleme

Um nicht missverstanden zu werden, dieses Verlagsmarketing ist völlig legitim und zulässig und offensichtlich auch von jedem Indie-Kritiker voll akzeptiert (möglicherweise aber durchschauen die Kritiker diese Mechanismen gar nicht), obwohl es sich bei den meisten Maßnahmen selbstverständlich um Instrumente der Publikums- und Lesermanipulation handelt, deren mit viel Geld erzielten Ergebnisse meist ebenso wenig sachlich und neutral sind, wie beispielsweise die Amazon-„Rezensionen“ von Indie-Fans.

Keine Frage, die Waffen, mit denen Indies und traditionelle Verlage um ihre Leser kämpfen sind von sehr unterschiedlicher Schärfe. Und eigentlich haben die Indies nur sich selbst und als Einzelkämpfer keine Chance. Indies müssen eigene Konzepte entwickeln, um der Macht der traditionellen Strukturen entgegenzuwirken und sich zu behaupten. Dazu gehört selbstverständlich der Aufbau einer Autoren-Fangemeinde, das ist zwingende Voraussetzung, um bei zig Millionen Titeln im Gesamtbuchmarkt überhaupt wahrgenommen zu werden. Die Probleme der Indie-Autoren sind nicht jene, die sich selbst überschätzen und lediglich Murks auf den Markt werfen, sondern die Tatsache, dass sich viele Autoren oft unbewusst und unreflektiert für die Interessen anderer einspannen lassen.

Im Lichte der Öffentlichkeit

Ein für mich entscheidendes Marketinginstrument ist letztendlich gerade die Kooperation der Autoren (wobei ich keinen Unterschied zwischen Indie- und verlagsabhängig mache) bei ihrer gemeinsamen Präsentation gegenüber dem Leser. Es heißt, Autoren seinen prinzipiell Individualisten, Egomanen, Eitel und zu einer Zusammenarbeit nicht fähig. Mag sein, dass es unter den elitären Bedingungen der traditionellen Strukturen tatsächlich so war. Aber die Strukturen haben sich glücklicherweise geändert, das lässt sich nicht zuletzt auch an einer gewissen Popularisierung und „Vernatürlichung“ der Literatursendungen und der Literaturkritiker erkennen. Ich bin davon überzeugt, dass über kurz oder lang die literarischen Dinosaurierpersönlichkeiten (selbst im deutschsprachigen Raum) vom Aussterben bedroht sind. Ausgerechnet denen sollte man daher als ambitionierter Hobbyschreiber mit Profiallüren nicht versuchen, nachzueifern, zumal man sich die Literaturguerilla durch das gegenseitige Neiden, Hauen und Stechen, das früher primär im elitären Kreise stattfand, heute in aller (Netz-)Öffentlichkeit lächerlich zu machen droht.

Verhältnismäßigkeit der Mittel

Kritik ist natürlich immer gut, solange der Kritiker bei seinen Eigeninteressen nicht den Überblick über die Realitäten verliert. Immerhin, niemand kann guten Gewissens sagen, er wisse beim Indie-Markt bereits heute, wo es lang geht, was richtig oder falsch ist oder gar wie der Leser auf was auch immer reagiert. Austausch auch von Gedanken, Erfahrungen und Einschätzungen sind unter Autoren daher wichtiger denn je. Allerdings ist der Buchmarkt ist derzeit hektisch und sensibel, und er wird immer enger, unübersichtlicher und umkämpfter. Bei so manchem Verhalten fällt mir in diesem Zusammenhang der Begriff Angstbeißen ein. Das kann zwar im Einzelfall schmerzhaft sein, muss aber nicht immer persönlich genommen werden.

Trotzdem, Neidkampagnen, Stalking und Mobbing haben mit einem professionellen Buchmarkt und auch mit dem independent publishing eigentlich nur wenig zu tun. Diese Eskapaden darf auch der geneigte Leser auf die allgemeinen (und in allen Bereichen zu beobachtenden) Troll-Auswüchse der Internetöffentlichkeit zurückführen. Ein wenig mehr Gelassenheit bei den Betroffenen wäre da eher angesagt. Schließlich gibt es eine klare Internetweisheit: „füttere nie einen Troll, denn dann wird aus einem kläglichen Zwerg ein mächtiger Riese“.

Zum Autorenkosmos 2

Ein Kommentar

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Eine Antwort zu “Autorenkosmos 1

  1. Großes Kino, dieser Artikel!

    Meine persönliche Quintessenz: In der Ruhe liegt die Kraft.

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