Autoren, Verlage und der Reziplagmatismus
Ja, ich gebs zu, Reziplagmatismus ist meine Wortschöpfung, zum Erheischen von Aufmerksamkeit für diesen Beitrag. Ich hätte natürlich auch schreiben kommen: Autoren, Verlage, ihre Plage mit den Rezensionen und der pragmatische Umgang mit denselben. Thema sind dabei allerdings nicht in erster Linie die mit den Waffen der Lesermeinung ausgetragenen Kleinkriege verfeindeter Literaturstämme in den Tiefen des digitalen Amazonurwaldes. Vielmehr denke ich hier einfach mal über den Sinn und Unsinn von Rezensionen für den Autor und die Verlage nach. Dass ich in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Verteilen von Rezensionsexemplaren aufwerfe, versteht sich von selbst.
Bei den großen Publikumsverlagen ist die Sache klar: sie sind schlichtweg in der Lage, die Medien- und Literaturbloggerszene mit Rezensionsexemplaren ihrer Häuser und ihrer systematisch geplanten Bestsellerautoren zu fluten. Hier ist die Präsenz, die visuelle Dominanz, die Marktbeherrschung in virtuellen und realen Buchregalen, in den Medien und der Bloggerszene ein zentrales Marketinginstrument im Verdrängungswettbewerb der literarischen Massenware. Es ist für die Indie-Autoren, Autoren, die bei den Großverlagen nicht in der ersten Reihe stehen oder bei den Kleinverlagen von vornherein hoffnungslos, da mithalten zu wollen. Schließlich überschreitet das bei den Großverlagen verfügbare Rezensionsexemplarkontingent oft genug die gesamte Erstauflage eines Buches aus dem Kleinverlag.
Rezensionen, Rezis, Bewertungen
Und dennoch sind Rezensionen auch für Indies und Kleinverlagsautoren ein wichtiges Marketinginstrument, das allerdings mit Bedacht eingesetzt werden muss. Generell passt wohl kaum ein abgedroschener Spruch so gut wie „Rezensionen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren“. Immerhin, die professionellen Feuilleton-Literaturkritiker der Tages- und Wochenzeitungen finden dort immer weniger Raum, die wenigen literaturkritischen Fernsehgrößen beherrschen das professionelle Buchbesprechungsgeschäft. Keine Frage, Indie-E-Books oder Books on Demand stehen bei ihnen eher nicht ganz oben auf der literarischen Speisekarte.
Einen größeren Anteil nehmen in den Medien aber auch auf vielen Literaturblogs die für eine solide Auseinandersetzung mit dem Buch sicherlich zu kurzen „Rezis“ ein, die daher vielleicht eher als Buchvorstellungen denn als wirkliche Buchbesprechungen betrachtet werden könnten. Hier geht es weniger um eine umfassende literaturkritische Analyse eines Werkes, sondern um eben die Vorstellung eines Buches, vielleicht mit einer im Einzelfall mehr oder weniger subjektiven Bewertung. Und je mehr sich der Autor mit seinem Werk der direkten Leserschaft nähert, um so subjektiv bewertender werden die publizierten Meinungen, die zwar so genannt werden, aber im Bedeutungssinne des Wortes gar keine Rezensionen sind.
Gedankliche Höhenflüge
Die hier beschriebenen Formen der Auseinandersetzung mit und Bewertung von Literatur machen Sinn und haben im Markt einen wichtigen Stellenwert. Natürlich, eine echte literaturkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk ist für einen Autor die Krönung. Dafür sollte man im Zweifelsfall bereit sein, das Rezensionsexemplar notfalls zu Fuß und persönlich beim Rezensenten – selbst wenn dieser am anderen Ende der Welt lebte – abzuliefern, wenn es denn tatsächlich angefordert würde. Immerhin ein Urteil aus erlauchtem Kritikermunde wertet das Buch in jedem Fall auf und verspricht erhöhte Absatzzahlen – vielleicht schaffte es das Buch damit sogar in die Auslagen des Buchhandels. Aber nun zurück in die Realität.
Der persönliche Draht – Einsatz im Schweiße des Angesichts
Die größten Chancen einer redaktionellen Behandlung von Buch und Autor in den traditionellen Medien liegen oft bei der Lokalpresse. Sicherlich eine gute Option, um wenigstens in seiner Region einmal öffentlich zu erscheinen. Für die Vergabe von Rezensionsexemplaren bedeutet dies: anbieten ja, abgeben nur, wenn eine Besprechung glaubhaft zugesichert wird. Oft genug ist eine Autorenvorstellung allerdings effektiver als eine lieblose Buchbesprechung in wenigen Zeilen.
Beim Buchhandel seines Vertrauens (funktioniert natürlich nur bei Büchern eines „richtigen“ Verlages, im Einzelfall auch mal beim Selbstverlag mit eigener ISBN und auf keinen Fall erzählen, dass man auch E-Books im Programm hat 😉 kann es durchaus Sinn machen, ein Buch zu hinterlassen. Einerseits zum Auslegen für die Kundschaft (dann aber am besten mit ausreichend beigelegten Flyern), andererseits tatsächlich zur Probelektüre durch den Inhaber. Ist der nach der Lektüre vom Buch überzeugt, besteht die Chance, dass er es auch seinen Stammkunden und damit weiteren Multiplikatoren empfiehlt und das Buch auch generell in sein Sortiment aufnimmt und präsentiert (vorausgesetzt natürlich in den vom Verlagsgruppenmainstream gefüllten Regalen und den mit Bestsellerdisplays kostenlos ausgestatteten Schaufenstern ist noch Platz).
Digitale Massenschlachten um die Präsenz bei den Distributoren
In der digitalen Distributorenwelt haben Rezensionen ihren Sinn oft weniger in der direkten Lesergewinnung, als vielmehr in der Erhöhung der größtmöglichen Präsenz des Buches auf der jeweiligen Vertriebsplattform. Wenn der Leser (Beispiel Amazon) nicht den korrekten Buchtitel oder Autorennamen in die Suchmaske eingibt, sondern nach Schlagworten sucht, erscheinen als Ergebnisliste jene Titel, die am besten verkauft werden, die die größte Zahl guter „Kundenbewertungen“ auf sich vereinen oder deren Verlage dafür bezahlt haben. Für den Otto Normalautor bedeutet dieses algorithmische Prinzip der „Verkaufsförderung“: viele positive Bewertungen machen mein Buch für die Kunden sichtbarer. Die Strategie: Möglichst viele Freunde und Bekannte einladen, eine Bewertung auf Amazon abzugeben. Die Vergabe von Rezensionsexemplaren an „Fremdrezensenten“ ist hier schlichtweg rausgeschmissenes Geld (ich rede hier nicht von Indie- E-Books, deren Produktion ja nur einmalige Kosten verursacht), denn hier geht es um richtig große Zahlen, die sich weder ein Kleinverlag noch ein Autor leisten. Die Sichtbarkeit eines Buches hängt hier eher von der Größe des aktiven Bekannten- und Fankreises ab.
Blogger als Partner der Zukunft?
Sicherlich am effektivsten sind Buchbesprechungen auf verlagsunabhängigen Literaturblogs. Hier lohnt es sich durchaus gezielt Rezensionsexemplare oder auch Exemplare für Leseraktionen anzubieten. Allerdings sollte der Autor dabei eine Reihe persönlicher Kriterien entwickeln.
– bin ich mit der Qualität der dort verfassten Besprechungen zufrieden (eher eine Stilfrage)?
– wird die Herangehensweise an die Bücher meinem Werk gerecht (worauf achtet der Rezensent besonders und was ist mir bei meinen Büchern besonders wichtig)?
– befindet sich mein Buch in der nach meiner Ansicht literarisch richtigen Gesellschaft?
– darf ich eine kritische aber faire Bewertung erwarten (bezieht sich vor allem auf den Umgangston)
– wird deutlich, nach welchen persönlichen Kriterien der Rezensent bewertet?
– kann ich verbindlich mit einer Publikation innerhalb eines bestimmten Zeitraums rechnen oder besteht die Gefahr, dass das Buch voller Stolz jahrelang im SuB (Stapel ungelesener Bücher) präsentiert wird?
– Hat der Blog ausreichend Leser?
– ist der Blog sozial vernetzt, wenn ja, wie aktiv ist er in den Netzwerken und wie groß ist die jeweilige „Fangemeinde“ also auch meine potenzielle Leserschaft (Reichweite)
– Ist der Blog auf ein bestimmtes Genre spezialisiert und wenn nicht, wie stark und kompetent ist mein Genre auf diesem Blog vertreten
Rezensionen sind nicht Alles
Natürlich sind die hier ausgeführten Gedanken eher grundsätzlicher Natur und als Anregung gedacht, die Überlegungen individuell sinnvoll anzupassen, zu ergänzen und zu vertiefen.
Das beginnt mit der Vorabfestlegung der Gesamtzahl von Rezensionsexemplaren, die man bereit oder in der Lage ist, einzusetzen. Und natürlich hat der einzelne Autor je nach Thema und Genre unterschiedliche Zielgruppen. Mit meinen populärwissenschaftlichen Fachbüchern zur Kulturgeschichte werde ich auf einem Spezialblog für Romantik-Thriller auch mit der besten Rezension nicht wirklich Lesermassen bewegen können. Und am Ende gilt: Die enthusiastischste Rezension bringt kaum etwas, wenn diese nicht in ein ganzes Bündel weiterer Marketingaktivitäten eingebunden ist. Denn die Bewertung ist die eine, die Sichtbarkeit des Buches, die Wahrnehmung der Bewertung durch die Zielgruppe, die Präsenz des Autors im Markt und selbstverständlich eine solide literarische Arbeit, sind die anderen Zutaten, aus denen ein erfolgreicher Autor gebacken wird – wenn er Glück hat 😉